IV. Social Business Forum: Materialien veröffentlicht

09.07.2021

Das IV. Social Business Forum in Belarus fand am 1. und 2. Juli statt. Seit 2017 ist das Forum eine Plattform für den Austausch von Best Practices im Bereich Soziales Unternehmertum und Corporate Social Responsibility (unternehmerische Sozialverantwortung) sowie für die Erörterung von Möglichkeiten, wie sich Unternehmen in die Lösung sozialer und ökologischer Probleme einbringen können. In diesem Jahr fand das Forum zum ersten Mal im Online-Format statt und versammelte mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Belarus, Deutschland, Lettland und Israel. Organisiert wurde das Forum vom Förderprogramm Belarus der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Vertretung der Vereinten Nationen in Belarus, der Akademie für Soziale Unternehmer, der sozialen Stiftung Dobra, der NGO ODB Brussels, dem Freizeitzentrum für Erwachsene und Kinder EcoLife und dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). #BelarusSocialBusiness

In ihrer Begrüßung wies Dr. Astrid Sahm, Geschäftsführerin des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks in Dortmund, darauf hin, dass Social Business die Zukunft ist: „Sozialunternehmer sind Menschen, die nicht nur Geschäfte machen, sondern auch die Welt für ihre Zielgruppen, für die lokale Gemeinschaft besser machen. Die Covid-19-Pandemie hat sich auf alle Aspekte des Lebens ausgewirkt, viele Modelle sind heute irrelevant geworden, aber die Pandemie hat auch neue Chancen eröffnet. Einerseits müssen wir uns distanzieren, um uns gegenseitig gesund zu halten, andererseits kann die Pandemie nicht ohne Interaktion und Solidarität auf lokaler und internationaler Ebene überwunden werden. Es ist wichtig, darüber nachzudenken, wie wir weiterhin Partnerschaften aufbauen, welche neuen Modelle wir sehen, welche Wirkungen und Lebensbedingungen wir als Ergebnis unserer Aktivitäten erreichen wollen, um die Pandemie zu überwinden und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen. Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Notwendigkeit, dass sich die Wirtschaft auf gesellschaftlich nützliche Ziele konzentriert, nur gewachsen ist.“

Joanna Kazana-Wisniowiecki, ständige Vertreterin der Vereinten Nationen in Belarus, eröffnete das Forum und betonte: „Für die UNO sind Sozialunternehmer*innen Partner und soziale Innovatoren. In ihren Absichten lassen sie sich von einem moralischen Kompass leiten, der uns hilft, die SDGs gemeinsam zu erreichen. Wir sehen ein großes Potenzial für die weitere Entwicklung und den Ausbau des sozialen Unternehmertums durch Zusammenarbeit und Partnerschaft. In den Beschaffenheit des sozialen Unternehmertums selbst liegt das Wesen der nachhaltigen Entwicklung, denn bei sozialen Unternehmen geht es immer um Innovation, Inklusion, sozialen Wert für die Gesellschaft und skalierbare Ideen.“

Am ersten Tag des Forums diskutierten die in das Studio in Minsk eingeladenen Expert*innen sowie Online-Teilnehmende über aktuelle Herausforderungen, Hindernisse und Chancen für soziale Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen in Belarus sowie über die Ergebnisse einer Umfrage zu den Bedürfnissen von Sozialunternehmen.

Alexander Chubrik, Direktor des Forschungszentrums IPM, sagte zu den Geschäftsmöglichkeiten im aktuellen Umfeld: „Die verfügbaren Daten erlauben es uns, den Beitrag der Privatwirtschaft zur belarussischen Volkswirtschaft insgesamt zu bewerten: Im Jahr 2020 hat die Privatwirtschaft im Vergleich zu 2012 220.000 Menschen mehr beschäftigt, selbst in dem Pandemiejahr hat der Privatsektor Arbeitsplätze ausgebaut, auch der Anteil an den Exporten ist gestiegen. Die Chancen für die Entwicklung privater, darunter auch sozialer Unternehmen liegen in Belarus in erster Linie bei den Unternehmern selbst, bei den Menschen, also die Ideen erkennen und sie umsetzen. Die Gründung einer Vereinigung von Sozialunternehmen ist ein sehr wichtiger Schritt, da dadurch eine Reihe von Hindernissen für ihre Entwicklung in Belarus beseitigt würde. Die zweite Chance liegt in internationalen Partnerschaften, in der Vernetzung und dem wachsenden Interesse der lokalen Behörden. Es gibt heute viele Möglichkeiten, seine Aktivitäten in einen gemeinsamen Kontext zu stellen.“

Während der Podiumsdiskussion über die Erfahrungen sozialer Unternehmen in Belarus bei der Bewältigung moderner Herausforderungen erörterten die Teilnehmenden die aktuellen Schwierigkeiten bei der Arbeit von Unternehmern: die Planung von Geschäftsaktivitäten ist in einer Situation der Unsicherheit kaum möglich, alle früheren Pläne und Strategien gelten nicht mehr, es bestehen pandemiebedingte Einschränkungen. Auf der Suche nach einem Ausweg stellen sich die Unternehmer auf Kundenbedürfnisse ein, verlegen ihre Angebote verstärkt ins Netz, schaffen ein gesundheitlich sicheres Umfeld für ihre Zielgruppen, arbeiten mit dem Team an emotionalem Burnout, bilden sich weiter und suchen nach professioneller Expertenhilfe. Die Erfahrung des Netzwerks CINGO, das soziale Unternehmen verbindet, hat gezeigt, dass ein Zusammenschluss von Sozialunternehmer*innen dazu beiträgt, aufkommende Probleme in Krisensituationen wirksam zu bewältigen. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass es jetzt wichtig ist, sich auf ihre Werte und Ziele zu konzentrieren, mit der Zeit zu gehen und die gegenseitige Hilfe und die Erfahrungen anderer Länder zu nutzen.

Die Expert*innen der Stiftung Dobrapräsentierten die Ergebnisse einer Umfrage zu den Bedürfnissen von Sozialunternehmen, die im Frühjahr 2021 im Rahmen des Projekts „Collaborate for Impact“ durchgeführt wurde. Neben Belarus haben auch Unternehmer*innen aus der Ukraine, Armenien, Russland und Georgien an der Studie teilgenommen. In allen Ländern sind die wichtigsten SDGs, zu deren Erreichung Sozialunternehmen beitragen, folgende: Gesundheit und Wohlergehen, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Abbau von Ungleichheiten und Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung. Die Studie beschreibt detailliert Herausforderungen, mit denen belarussische Sozialunternehmen konfrontiert sind, in Bereichen wie Finanzen, Produktion, Markt, Personal u. a. Als Schwerpunkte, die Sozialunternehmer*innen im Jahr 2021 angehen wollen, nannten die Forscher*innen Digitalisierung (viele überlegen sich, angeregt durch die Pandemie, die Erstellung einer Website oder einer App sowie die Vermarktung in sozialen Netzwerken), Produktverbesserung und -weiterentwicklung, Partnersuche, Skalierung, Teamstärkung, Weiterbildung, PR und Community-Entwicklung. Eine finanzielle Unterstützung brauchen die Befragten am häufigsten für Investitionen in den Kauf von Geräten/Ausrüstung/Gebäuden (62,5 %). Bei der nicht-finanziellen Unterstützung, an der es den Sozialunternehmen mangelt, lagen Geschäftsplanung (50 %), Marktforschung und Marktanalyse (41,7 %) und Vertrieb (37,5 %) an der Spitze. Die Expert*innen erklären das Interesse von Sozialunternehmen an Impact Investments und Zuschüssen mit den Besonderheiten der Marktentwicklung in den untersuchten Ländern. In wirtschaftlich entwickelten Ländern wird die Finanzierung von Projekten der sozialen Infrastruktur häufig vom Staat übernommen, z. B. durch sachgerechte Organisation des staatlichen Sozialauftrags (Beschaffung von Sozialleistungen) oder Einbeziehung von Produkten und Dienstleistungen von Sozialunternehmen in die Lieferketten. Durch Priorisierung einer inklusiven Gesellschaft und der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen werden in Unternehmen Prozesse zur Anpassung von Arbeitsplätzen, der Kauf von Spezialausrüstungen sowie Ausbildungs- und Begleitungsprozesse angestoßen – all dies liegt außerhalb der klassischen Aufgaben und Ziele von Privatwirtschaft.

In der Diskussion über Partnerschaften zwischen traditionellen Unternehmen und sozialen Initiativen wurden zahlreiche Beispiele für gemeinsame, für beide Seiten nutzbringende Projekte vorgestellt und Empfehlungen aus den Erfahrungen der Teilnehmer*innen geäußert. Das Studio Belonika, in dem blinden Kindern das Malen beigebracht wird, sucht nach Möglichkeiten für Kooperationen, an denen auch Unternehmen interessiert wären. So bestellte beispielsweise der Baustoffhersteller Remmers bei den Künstler*innen des Malschule Bilder, die die Firma dann an ihre Kunden schenkte, und Mark Formell stellt Produkte mit Reproduktionen ihrer Bilder her, sodass die Künstler*innen ihre Tantiemen erhalten. Bei einem weiterer Fall von Partnerschaft geht es um die unternehmerische Sozialverantwortung: das internationale IT-Unternehmen SoftTeco gestaltet seine Umweltpolitik in Zusammenarbeit mit dem Center for Environmental Solutions. Beide Partner profitieren von dieser Win-Win-Strategie: Die Umwelt-NGO erreicht ein sehr breites Publikum, während das Unternehmen, da es sich über sein Kerngeschäft hinaus für den Umweltschutz einsetzt, eine Aufwertung in den Augen von Kunden und Mitarbeitenden genießt und als besserer Dienstleister und Arbeitgeber angesehen wird.

Die Diskussionsteilnehmenden empfahlen, bereits in der Phase der Projektidee darüber nachzudenken, mit welchem einzigartigen und interessanten Angebot man an Unternehmen herantreten könnte, denn jedes Unternehmen möchte sich abheben und sucht nach einem Alleinstellungsmerkmal. Eine Bank bestellte zum Beispiel bei einer sozialen Recyclingwerkstatt Stoffhasen als Geschenke, die von Menschen mit Behinderungen aus Textilresten genäht werden. Ein großer Lebensmittelhersteller unterstützt das Projekt „Food“ bei der Einrichtung der ersten Lebensmittelbank in Belarus, die zum Verzehr geeignete, aber aus verschiedenen Gründen unverkäufliche Lebensmittel sammelt und an bedürftige Menschen spendet. Das soziale Start-up Dobrae Pechyva bildet Menschen mit geistiger Behinderung aus und beschäftigt sie: sie backen unter Anleitung von Fachleuten Kekse aus natürlichen Zutaten und verpacken sie umweltfreundlich. Die Kunden der Bäckerei sind in der Regel Unternehmen, die sich sozial engagieren wollen, sie kaufen die Backwaren für ihre Mitarbeitenden und Kunden und verwenden sie als Geschenke. „Für Sozialunternehmen ist Sichtbarkeit wichtig. Wenn niemand von Ihnen gehört hat und über Ihre Kompetenzen und Leistungen nichts zu lesen ist, kann man kaum damit rechnen, dass Unternehmen Vertrauen zu Ihnen haben. Nutzen Sie jede Plattform, auf der Sie mit der Wirtschaft in Kontakt kommen können, etwa öffentliche Veranstaltungen wie unser Forum, und vermitteln Sie klar, was Ihre Stärken sind, was Sie wollen und was der Nutzen für Unternehmen sein kann, mit Ihnen zu kooperieren. Bieten Sie eine einzigartige Lösung an, die Firmen wichtig und interessant finden. Dies ermöglicht Ihnen, Ihre Werte zu fördern, und Ihre Unternehmenspartner können damit ihre Sozialverantwortung stärken und neue Zielgruppen erschließen“, so Darya Chumakova, Expertin des Center for Environmental Solutions.

Die Vertreter*innen des lettischen Sozialunternehmerverbandes berichteten über ihre Erfahrungen und die Vorteile der Vereinigung. Im Jahr 2012 konnten soziale Start-ups dank New Door, einem Akzelerator für soziales Unternehmertum, fest Fuß fassen und eine nachhaltige Sozialwirtschaft bilden, sie wurden mit Fach- und Weiterbildungsangeboten unterstützt. Heute umfasst das lettische Ökosystem für Sozialunternehmen das Wohlfahrtsministerium, den 2015 gegründeten Sozialunternehmerverbandes Social Entrepreneurship Association of Latvia (lettisch LSUA), Akzeleratoren als Fördereinrichtungen, Sozialunternehmen sowie Hochschul- und Forschungseinrichtungen. Im Jahr 2021 hat die LSUA 120 Mitglieder aus verschiedenen Regionen Lettlands, mehr als die Hälfte von ihnen sind Absolventen des Akzelerators New Door. Die wichtigsten Arbeitsbereiche sind die Interessenvertretung auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, der Aufbau der Kapazitäten der Mitglieder, die Schaffung einer Plattform für den Erfahrungs- und Wissensaustausch sowie die Information der Medien und der Öffentlichkeit, damit möglichst viele Menschen in Lettland von der Arbeit der Sozialunternehmen erfahren. Im ganzen Land besteht ein Netzwerk von LSUA-Botschaftern, die in den Akzeleratoren ausgebildet wurden oder ihr eigenes Sozialunternehmen gegründet haben und an die alle Interessierten um Rat und Tat bitten können. Der Verband arbeitet aktiv mit den Gemeinden in den Regionen zusammen und vernetzt sich, auch der Staat unterstützt Sozialunternehmen, indem ihre Dienstleistungen und Produkte bei Beschaffungen und Vergaben bevorzugt werden.

Oksana Bernatskaja, Leiterin des privaten Freizeitzentrums für Erwachsene und Kinder EcoLife, lud die Gäste des Forums ein, an der Online-Umfrage „Sozialunternehmen in Belarus: Probleme und Bedarfe“ (auf Russisch) teilzunehmen und damit die Diskussion zum Thema Solidarisierung und Verbesserung der Effizienz des gesamten Sektors fortzusetzen. Alle Interessierten können sich an der Umfrage beteiligen, die zeigen soll, in welchen Bereichen und Regionen belarussische Sozialunternehmer*innen tätig sind, wie sie sich weiter entwickeln wollen, welche Wissenslücken bestehen und welche Probleme sie bei der Geschäftsentwicklung haben. Die Ergebnisse werden auf den Websites der Veranstalter veröffentlicht.

Bei der Abstimmung über die Ergebnisse des Forums bezeichneten die Teilnehmenden den Aufbau einer Social-Business-Community und leicht zugängliche Hilfsangebote von Expert*innen als wichtigste Aufgaben für die Zukunft. Die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen des Forums bildeten die Grundlage für die abschließende Resolution, die an die Teilnehmenden sowie an alle an der Entwicklung des sozialen Unternehmertums in Belarus Interessierten verteilt wird.

Wir bedanken uns bei allen Partner*innen, Teilnehmer*innen, Moderator*innen und Expert*innen des Forums für die präsentierten Erfahrungen und die fruchtbare Zusammenarbeit.

Expertenpräsentationen (auf Russisch):

Privatwirtschaft in Belarus: Hindernisse, Risiken, Chancen (Alexander Chubrik, Forschungszentrum IPM)

Ergebnisse der Studie zu den Bedürfnissen belarussischer Sozialunternehmen und –unternehmer*innen (Nadezhda Jushkevich, Senior Kommunikationsmanagerin bei der Stiftung Dobra, Managerin des Projekts „Collaborate for Impact“)

Sozialunternehmertum und der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) in Belarus: Möglichkeiten für Kooperation und Unterstützung (Taisiya Eletskikh, UNFPA in Belarus)

Coworkings „Gravitationszentrum Igrow“: zugängliche und kostenlose Ressourcen für Sozialunternehmer*innen (Viktoria Barisevich, Managerin für die Entwicklung des Ökosystems der Belagroprombank)

New Door: Community lettischer Sozialunternehmen

Präsentationen der Erfahrungen sozialer Initiativen:

Tierschutzeinrichtung Save Us

Café 1505 als Raum für soziale und urbane Projekte in der Stadt, Sergei Pliushchai, Gomel

Fotoschule Za Kadrom: soziale Fotoprojekte, freiwilliges Engagement, Frauen- und Mädchennetzwerk, Anastasia Kontsevenko, Gomel

Life Again: Arbeit mit krebskranken Frauen, Marina Kabadaryan, Gomel

Video über belarussische Sozialunternehmer*innen, YouTube-Kanal der IBB_in_Minsk

 
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